Während in der Arktis schon in den letzten Jahrzehnten die sommerliche Eisbedeckung stetig abnahm, war dies in der Antarktis nicht der Fall. Im Gegenteil, die Eisfläche nahm im Laufe Jahre sogar tendenziell eher leicht zu. Die Eismasse nahm dabei aber eher ab, das Eis wurde dünner. Seit 2016 hat dieser Trend ein Ende gefunden, auch die Eisfläche verringert sich seither - und dies scheinbar in immer schnellerer Form.
Immer grössere Anomalie mitten im Südwinter
Im Februar diesen Jahres sank die Meereisbedeckung in der Antarktis auf ein neues Rekordminimum. Inzwischen befinden wir uns mitten im Südwinter und der Polarnacht, während dessen sich die Eisfläche üblicherweise rasch vergrössert. Auch aktuell nimmt die Eisfläche zwar zu, aber in viel geringerem Ausmass. Noch nie seit Beginn der Satellitenbeobachtung war zu diesem Zeitpunkt des Jahres so wenig Meereis vorhanden.
Abb. 1: Meereis-Ausdehnung in der Antarktis. Aktuelle Kurve noch deutlich unter jener des alten Rekordjahres 2022; Quelle: meereisportal.de
Noch auffälliger wird dieser Umstand, wenn man sich den Grad der Anomalie betrachtet. Seit 1979 war die Schelfeisfläche im Südwinter noch nie so gering – und das mit gewaltigem Abstand! In den meisten Teilregionen um den antarktischen Festlandsockel gibt es weniger Eis als normal, nur in der nördlichen Amundsensee ist die Fläche überdurchschnittlich. Die zweite auffällige Anomalie in der unteren Abbildung stammt aus dem späten Südfrühling und Südsommer des Jahres 2016, einem Jahr mit starkem El Niño. Auch aktuell nimmt dieses Phänomen im Pazifik an Fahrt auf und wird sich in den kommenden Monaten mit grosser Wahrscheinlichkeit weiter verstärken. Es wird also spannend, aber auch beunruhigend zu beobachten, wie sich diese aussergewöhnliche Anomalie in der zweiten Jahreshälfte 2023 und dann auch im Jahr 2024 weiter entwickelt.
Abb. 2: Anomalie der antarktischen Meereisausdehnung seit 1979; Quelle: zacklabe.com
Auf dem Weg zu einem neuen Rekordminimum
Das antarktische Meereis erreicht normalerweise im September oder Oktober sein Maximum und im Februar sein Minimum. Rekordhalter für die geringste Eisausdehnung war in der Antarktis lange Zeit das Jahr 1997, dieses Minimum lag bei 2,48 Millionen Quadratkilometern. Dieser Wert wurde 2017 mit 2,24 Millionen Quadratkilometern deutlich unterboten. 2022 wurde diese Marke mit 2,17 Millionen Quadratkilometern erneut nach unten durchbrochen. Zwei Minusrekorde innerhalb von fünf Jahren sind zwar noch kein echter Trend, lassen aber aufhorchen.
Abb. 1: Anomalie der antarktischen Meereisausdehnung seit 1979, (Bildquelle: zacklabe.com); Quelle: zacklabe.com
Ende letzten Jahres erreichte die Eisfläche nun ein absolutes Dezemberminimum, und auch aktuell liegt die Eisfläche deutlich unter jener der Jahre 2017 und 2022. Bis zum absoluten Jahresminimum vergehen ab jetzt noch 6 bis 8 Wochen, setzt sich der aktuelle Trend in dieser Form fort, steuern wir ein weiteres Mal auf einen neuen Minusrekord zu. Vergleicht man den Grad der Anomalie zu diesem Zeitpunkt mit 2017 und 2022, fällt auf, dass 2023 in dieser Hinsicht in einer eigenen Liga spielt.
Abb. 2: Meereis-Ausdehnung in der Antarktis. Aktuelle Kurve deutlich unter jener der letzen Jahre (Quelle: meereisportal.de) ; Quelle: meereisportal.de
Besonders stark ist der Rückgang in der Westantarktis, aber auch in der bis dahin vergleichsweise stabilen Ostantarktis ist die Schelfeisfläche (wie schon letztes Jahr) klar unterdurchschnittlich.
Abb. 3: Meereisausdehnung am 8. Januar, Vergleich mit der mittleren Ausdehnung der Jahre 1981 bis 2010 (Quelle: nsidc.org); Quelle: nsidc.org
Bei der Frage nach den Ursachen gibt es keine einfachen Antworten! Unmittelbar sind wohl veränderte Windströmungsmuster und Strömungsverhältnisse im Meer dafür verantwortlich. Deren Ursprung wiederum kann auf den Klimawandel zurückgeführt werden. Diese Entwicklungen sind in klimatischen Zeiträumen noch relativ neu und Gegenstand intensiver Forschung, aber der Grad der Veränderungen ist besorgniserregend. In den kommenden Jahren wird sich zeigen, ob sich dieser frische Trend fortsetzt und weiter beschleunigt, oder sich wieder abflacht. Mitunter überschreiten wir inzwischen auch schon Kippunkte. Denn durch die geringere (weisse) Eisfläche reduziert sich auch die Rückstrahlung in den Weltraum (Albedo), der Wärmeeintrag in das System nimmt zu. Das abschmelzende Schelfeis hat zwar keinen Einfluss auf den Meeresspiegel, da es ja selbst schwimmt, stützt aber die aus dem Inneren des hochgelegenen Kontinents nachfliessenden Eismassen der Gletscher und bremst diese. Weniger Schelfeis bedeutet weniger Bremswirkung, die Fliessgeschwindigkeit nimmt zu. Dieses abschmelzende Festlandeis lässt den Meeresspiegel ansteigen, die aktuelle Rate von 3,4 mm pro Jahr könnte sich dadurch weiter erhöhen. Besonderes Augenmerk gilt in dieser Hinsicht dem Thwaites-Gletscher. Er liegt im westantarktischen Marie-Byrd-Land und hat in etwa die Grösse von Florida. Er wiederum stütz das Westantarktische Eisschild im Landesinneren. In den letzten 2 bis 3 Jahre zeigt der Thwaites-Gletscher immer grössere Anzeichen der Erosion. Die Fliessgeschwindigkeit nimmt zu, immer grössere Teile seiner Zunge schwimmen auf und brechen in weiterer Folge ab. Schon jetzt ist dieser Gletscher für 4 % des jährlichen Meeresspiegelanstiegs verantwortlich.
Neuer Negativrekord beim antarktischen Meereis
Was sich schon vor einem Monat abgezeichnet hat, ist inzwischen Realität – der Negativrekord aus dem letzten Jahr wurde vor rund einer Woche unterschritten. Noch nie seit Beginn der Satellitenbeobachtung war die Meereisbedeckung in der Antarktis so gering. Am 8. Februar sank die Fläche auf 2,20 Millionen Quadratkilometer, gestern waren es nur noch 2,06 Millionen Quadratkilometer. Das absolute Minimum wird typischerweise Ende Februar erreicht, diese Zahl kann also in den nächsten ein bis zwei Wochen noch weiter zurückgehen. Eventuell wird sogar noch die "Schallmauer" von 2 Millionen Quadratkilometern nach unten durchbrochen. Weitere Updates folgen dann an dieser Stelle.
Abb. 1: Meereis-Ausdehnung in der Antarktis. Aktuelle Kurve deutlich unter jener der letzen Jahre.; Quelle: meereisportal.de
Abb. 2: Meereiskonzentration am 14. Februar 2023.; Quelle: meereisportal.de