Globale Strömungsmuster gibt es nicht nur in der Atmosphäre, sondern auch in den Meeren. Diese umspannen die ganze Welt und verbinden alle Ozeane miteinander. Der Motor hierfür sind neben Winden und der Corioliskraft vor allem auch die thermohaline Zirkulation. Durch eine neue Studie zum möglichen Kippen der AMOC (Atlantic Meridional Overturning Circulation) ist diese nun wieder in vielen Schlagzeilen vertreten. Doch worum handelt es sich dabei genau?
Was ist die AMOC?
Die atlantische Umwälzbewegung (Atlantic Meridional Overturning Circulation, AMOC) besteht aus warmen, nordwärts gerichteten oberflächennahen Strömungen, einem Absinken von grossen Wassermassen in hohen Breiten und tiefen Bodenströmungen am westlichen Rand des Atlantiks. Die AMOC ist Teil eines globalen ozeanischen Umverteilungssystems für Wärme und Süsswasser, wird aber von vielen fälschlicherweise 1:1 mit dem Golfstrom gleichgesetzt. Der Golfstrom wird aber im Wesentlichen durch die Passatwinde angetrieben. Sie führen das Oberflächenwasser von Ost nach West, der Amerikanische Kontinent lenkt es nach Norden ab. Dabei werden grosse Mengen des warmen Oberflächenwassers in höhere Breiten geführt. In seinem Maximalbereich transportiert der Golfstrom 150 Sv (1 Sverdrup entspricht 1 Million Kubikmeter pro Sekunde, alle Flüsse der Welt führen kombiniert in etwa diese Wassermenge). Der Golfstrom wird auch in einer wärmeren Welt nicht zum Stillstand kommen!
Abb. 1: Verlauf der grossräumigen Meeresströmungen im nördlichen Atlantik; Quelle: Wikipedia
Vor der Küste Neufundlands trifft er auf den Labradorstrom und wird dadurch abgedrängt und verästelt. Einer dieser Arme wird zum Nordatlantikstrom, der sich dann auf der Höhe von Irland weiter aufteilt. Der Antrieb für jeden dieser Arme ist die thermohaline Zirkulation. Auf dem Weg nach Norden verdunstet vom warmen Oberflächenwasser viel Feuchtigkeit, der Salzgehalt steigt dadurch an – die Salinität nimmt zu. Auf dem Weg nach Norden gibt das Wasser zudem viel Wärme an die darüber liegende Atmosphäre ab, es wird kühler. In Kombination nimmt die Dichte zu, das Wasser wird schwerer und beginnt abzusinken. In den Gewässern vor Kanada und Norwegen sinken so grossen Mengen Wasser ab und beginnen in 2 bis 3 Kilometern Tiefe bodennah wieder nach Süden abzufliessen. Entscheidend für die Effektivität dieses Mechanismus ist also die Temperatur und der Salzgehalt.
Verdünnung durch Süsswasser
Das System der Meeresströmungen ist komplex und natürlichen Schwankungen unterworfen, Ursachen und Auswirkungen überlappen sich. Im Rahmen der Klimaerwärmung und der zunehmenden Menge an Schmelzwasser vom Eisschild Grönlands sowie dem Zustrom von Südwasser aus den Flüssen wurden die Effekte auf die thermohaline Zirkulation diskutiert. Das Süsswasser verringert nämlich den Salzgehalt, die steigenden Wassertemperaturen verringern die Dichte zusätzlich. Es wurde also schon früh erwartet, dass sich der Absinkprozess und dadurch in weiterer Folge auch die AMOC abschwächt oder zumindest modifiziert. Daten aus Sedimenten und Eisbohrkernen belegen, dass dies schon etliche Male passiert ist (Heinrich-Ereignisse).
Salzwasser aus dem Indischen Ozean
Wie komplex und vernetzt das System tatsächlich ist, zeigt auch der Einfluss einer Meeresströmung im Indischen Ozean auf den Nordatlantik – der Agulhasstrom. Er führt warmes und salziges Wasser entlang der Ostküste von Mosambik und Südafrika zur Südspitze Afrikas. Dort allerdings macht er eine relativ scharfe Kehrtwende, die sogenannte Retroflexion. Allerdings gelangen trotzdem schubweise Blasen des salzigen Agulhasstroms in den Südatlantik. Es bilden sich dabei wirbelartige Strukturen, die Agulhasringe.
Abb. 2: Simulation der oberflächlichen Meeresströmungen im Südatlantik und dem Indischen Ozean (Modell INHALT20); Quelle: nature.com
Sie wandern nordwestwärts über den Südatlantik in Richtung Karibik und Golfstrom. Dieser wird dadurch mit salzigerem Wasser quasi geimpft. Interessanterweise nahm dieser Anteil im Rahmen der fortschreitenden Klimaerwärmung sogar zu.
Nahender Kipppunkt?
Man könnte also davon ausgehen, dass die kleinen Salzwasserportionen aus dem Indischen Ozean die thermohaline Zirkulation im Nordatlantik unterstützt und eventuell den verdünnenden Effekt durch den steigenden Südwassereintrag ausgleicht. Zu einem gewissen Anteil mag dies auch der Fall sein, doch er scheint nicht auszureichen. Durch immer aufwändigere Studien und Simulationen mehrten sich die Anzeichen, dass die AMOC sich nicht einfach nur kontinuierlich abschwächt, sondern dass sie nach Erreichen eines Kipppunkts auch rasch kollabieren kann. In den letzten Tagen sorgt nun eine neue Studie (link zum Originalartikel) für enormes Aufsehen. Ein niederländisches Forschungsteam definierte mit Hilfe der bislang aufwändigsten Simulation mehrere Signale, die sich vor dem Erreichen eines solchen Kipppunkts zeigen. Noch vor 2 bis 3 Jahren war dies deutlich weniger klar, aber wir scheinen einem solchen Ereignis näher zu sein, als gedacht. Dabei wird keine dezidierte Jahreszahl genannt, aber es handelt sich nicht um Jahrhunderte, sondern um Jahre (worst case) bis zu mehreren Jahrzehnten. Die AMOC scheint schon seit Mitte des letzten Jahrhunderts schwächer und fragiler als zuvor, nun befeuert der Klimawandel jene Faktoren, die für eine weitere Abschwächung sprechen.
Auswirkungen
Über die möglichen Auswirkungen war zuletzt schon viel zu lesen. Kommt die Heizung Europas zum Erliegen, hätte dies vor allem für den Norden Europas fatale Folgen – die Temperaturen würde deutlich sinken und sich mehr jenen von Kanada auf gleichem Breitengrad annähern. Dabei würde es aber nicht nur kälter, sondern auch trockener. Durch den schlechteren Wärmeabtransport würde sich die Erwärmung in den niederen Breiten dagegen verstärken, besonders stark in der südlichen Hemisphäre. Trotz der regional deutlichen Abkühlung in Europa, würde es global gesehen weiterhin wärmer. Es verstärken sich einfach die Kontraste!